Hallo,
ich muss mal ein paar Gedanken loswerden, die mich schon lange beschäftigen, die ich mich aber nicht traue, im Bekanntenkreis zu äußern, da ich fürchte, dass sie gesellschaftlich nicht akzeptert sind. Vorab: Ich will die Pille nicht verteufeln, habe damit selber ein paar sorglose Jahre verbracht. Aber irgendwann fingen die Probleme an: Von Gewichtszunahme und Kopfschmerzen bin ich glücklicherweise verschont geblieben, aber die Zwischenblutungen und vor allem der extreme Libidoverlust haben mich sehr belastet. Beim Libidoverlust kann ich nicht sagen, ob das wirklich an den Hormonen lag oder an einem versteckten aufkeimenden Kinderwunsch und dem Bewusstsein, gerade unfruchtbar zu sein. Als ich dann irgendwann auf die NFP umgestiegen bin, hat es erstmal ein Dreivierteljahr gedauert, bis ich wieder einen einigermaßen regelmäßigen Zyklus hatte.
Die Pille war ja als feministisches Verhütungsmittel sicher gut gemeint. Aber ich denke, damit wird auch eine Machbarkeits- und Planbarkeits-Illusion geschaffen, die ich nicht gut finde.
Problematisch finde ich an der Pille vor allem, dass die Frau damit die Hauptverantwortung der Verhütung trägt. Wenn eine Frau trotz Pille schwanger wird, ohne dass es vom Partner so mitgeplant war, gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie war zu dumm zu verhüten, oder sie hat es bewusst drauf angelegt. Man denke doch nur an die (erstaunlich häufigen) Fälle, wo ein getrenntes Pärchen nochmal Sex hat und ein Kind entsteht. Oder die jungen Mädchen, die noch mitten im Schulabschluss oder in der Ausbildung stehen und ungewollt schwanger werden: Zu doof zum Verhüten oder extra schwanger geworden weil kein Bock auf einen ordentlichen Abschluss, dafür dem Partner ein Kind anhängen. Ich gebe zu, ich habe früher auch so gedacht. Mittlerweile tut es mir furchtbar leid. Als ob es in so einer Situation nicht schon schwer genug wäre!
Ich weiß nicht, wie das vor vielleicht 50 Jahren war: Meine achtzigjährige Nachbarin erzählte mal:"Als ich das erste Kind geboren hatte, wollte ich sofort noch eines!" Keine Rede von Diskussionen mit dem Mann und gemeinsamer Planung. Entweder haben damals die Frauen einfach entschieden, ob noch ein Kind kommt, oder es ist einfach passiert. Da hat doch auch kein Mann mit Scheidung gedroht, weil noch ein weiteres Kind ungeplant entstanden ist, oder? Und wenn ein junges Mädchen schwanger geworden ist, hieß es: "Komm mal her, Burschi, du hast unsere Tochter geschwängert, jetzt steh zu deiner Verantwortung, ihr müsst heiraten!" Nicht, dass ich das wirklich besser finde als heutzutage. Aber die Verantwortung war doch ganz anders verteilt.
Problematisch finde ich auch, dass die Pille so sorglos jungen Mädchen empfohlen wird. Ist es nicht seltsam, dass Jungendliche viel mehr Angst vor einer Schwangerschaft als vor sexuell übertragbaren Krankheiten haben? Als ich (Spätentwicklerin) mit 17 meinen ersten festen Freund hatte und der mir die Pille empfahl, weil sie ja auch so toll gegen Pickel wirkt und die Regel schwächer und vorhersehbarer werden lässt, ich mich aber noch nicht reif genug für Sex fühlte, habe ich ihm gesagt, dass ich mir künstliche Hormone noch nicht antun will, weil ich erstmal so natürlich mit meiner Regel und meinem Körper klarkommen will. Damals war so eine Meinung akzeptabel, das ist auch schon 25 Jahre her, aber wie ist das heute? Mit so einer Einstellung ist ein Mädchen doch bestimmt extrem öko oder aus einer streng konservativen katholischen oder muslimischen Familie, die Arme! Warum ist es so seltsam, wenn ein junges Mädchen erstmal seine Periode richtig akzeptieren lernen will? (Ich fand es damals toll, mich so "weiblich" zu fühlen, trotz der ganzen Nervereien, die mit der Blutung einhergehen. Auch die Pickel fand ich nicht schlimm.) Statt dessen wird die Pille angepriesen: unkompliziert, mit bunten Schmetterlingen drauf, wirkt gegen Akne, für ein tolles Lebensgefühl.
Als Frau sehe ich mich den gleichen Erwartungen ausgesetzt: Mit Pille soll ich attraktiv sein, unkompliziert, immer gut gelaunt ohne PMS und möglichst ohne Periodenblutung, immer sexuell verlangend und bloß ja nicht schwanger werden. Ich empfinde das als eine Zumutung! Das mag zwar aus feministischer Sicht toll sein, aber ich bin doch keine Gummipuppe oder eine Dame, die die Illusion vom Sex ohne Liebe verkauft! Ich fühle mich so nicht in meiner Weiblichkeit akzeptiert!
Ich habe vor Jahren mal einen Artikel von irgendeinem Frauenarzt gelesen, der meinte, die hormonellen Verhütungsmittel würden die Frauen "den Ruf des Ungeborenen" nicht mehr hören lassen. Das habe ich für esoterischen Humbug abgetan. (Ich habe es auch heute noch nicht so mit esoterischem Krimskram, das ist für mich halt einfach nur ein Ausdrucksmittel, um irgendwelche unbewussten Empfindungen darzustellen.) Genauso die antroposopische Einstellung, die einzig richtige Verhütung wäre die Enthaltsamkeit. Und in einem Buch über angeblich gesunde Ernährung (Udo Pollmer: Wie gesunde Ernährung uns krank macht) habe ich ein Zitat von einem anderen Ernährungswissenschaftler gelesen:"Essen ohne Hunger ist wie Sex, ohne Kinder zeugen zu wollen." Ich habe immer über sowas gelacht, mittlerweile kann ich es verstehen. Ich kann mittlerweile auch verstehen, wie Frauen oder Mädchen auch gegen den Willen der Umwelt und gegen alle Vernunft ihren Kinderwunsch durchsetzen. Das kann ich natürlich nicht offziell zugeben, weil das ja als "asozial" gilt, jemandem einfach ein Kind unterzujubeln. Naja, immerhin ist es nicht strafbar.
Genauso schief werden ja auch Frauen angeguckt, die kinderlos geblieben sind,"weil es sich nicht ergeben hat", also weil der Mann nie wollte - die eben nicht einfach ihren Kinderwunsch durchgesetzt haben. Solche Fälle habe ich auch im Freundeskreis, die Pille macht's möglich.
Nochmal: Ich will nicht gegen die Pille wettern, ich finde es gut, dass es sie gibt. Ich finde es nur unfair, dass damit die gesamte Verantwortung den Frauen zugeschoben wird. Fair fände ich, wenn es auch eine Pille für den Mann gäbe. Wenn der Mann viel mehr Angst vor einer Schwangerschaft hat als die Frau, sollte er doch bei sich hormonell verhüten. Als ich das letzte Mal bei der Suche nach einem geeigneten Verhütungsmittel meinen (männlichen) Frauenarzt fragte, was eigentlich aus der Pille für den Mann geworden sei, sagte er:"Die Forschungen dazu wurden eingestellt. Die Männer haben die Pille nicht akzeptiert." Ach so! Aber wir Frauen sollen uns die Hormone mit allen (eingebildeten oder echten) Nebenwirkungen antun und dann auch noch dankbar für so ein tolles Verhütungsmittel sein! (Sowas wie die Kupferspirale würden sich die meisten Männer sicher auch nicht antun, Sterilisation ist ja erst recht ein sehr sensibles Thema.)
Ich hoffe, mich versteht einer hier. Ich stehe gerade unter einem enormen Rechtfertigungsdruck, wie ich schon wieder schwanger werden konnte. Ich habe aber grundsätzlich keine Lust auf Rechtfertigung! Ich will auch keine religiösen Gründe vorschieben müssen, da ich ungläubig bin, wenn sicher auch die christlich-humanistische Erziehung noch in mir steckt.
Die Pille fördert die Einstellung, Frauen hätten eine biologische Fehlfunktion, fast schon eine Art Krankheit bzw. Vorerkrankung, nämlich dass sie ganz leicht schwanger werden können, wenn man eben nicht das richtige Medikament schluckt. Frauen haben damit ein Gebrechen, eine Behinderung und sollten ihre Medikamente schlucken, damit nicht die echte Krankheit aka Schwangerschaft ausbricht.
Die Abtreibung ist dann eben das Notfallmedikament/-behandlung, wenn die eigentliche Medikation versagt hat.
Überraschend ist vor allem, dass es niemanden auffällt, dass das natürlich ziemlich sicher zu weniger Respekt vor Frauen führt und insbesondere ungeplant schwangeren, die doch gegen Abtreibung neigen.
Denn alleine schon die Unterstellung Frauen seien sozusagen "behindert" bzw. mit dem "Handicap behaftet", schwanger werden zu können, sagt ja schon mal unmittelbar aus, dass alle Frauen fehlerbehaftet sind, während Männer, da die nicht schwanger werden können, weniger fehlerbehaftet sind, also weniger unvollkommen.
Und dann noch, wenn man einen Asthmatiker oder Zuckerkranken hat, der obwohl er/sie doch genau weiß, dass er/sie dieses Handicap hat und halt seine Medikamente schlucken sollte, dann doch mal einen stärkeren Ausbruch hat - vielleicht weil zu blöd die Medikamente richtig einzunehmen - und dann rumzickt und die Notfallbehandlung ablehnt und damit dem Umfeld totalen Stress macht, dann hört man auch auf, nett zu dem/der zu sein.
Dieses hier:
"gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie war zu dumm zu verhüten, oder sie hat es bewusst drauf angelegt."
ist übrigens auch deshalb eine so unangebrachte Ansicht, da jeder in jedem Beipackzettel und auch auf wikipedia nachlesen kann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pearl-Index
(siehe minimale Werte; auch bei richtiger Anwendung gibt es versagen)
dass Schwangerschaften trotz Verhütungsmittel möglich sind.
Das Gerede, dass Frauen doch selbstbestimmt über Abtreibung oder nicht entscheiden sollen, tut sein übriges, denn es hat neben der gewünschten Wirkung, dass böse Lebensschützer weniger Möglichkeiten haben, den Frauen ins Gewissen zu reden, auch die Wirkung, dass alle glauben, Frauen seien irgendwie von Natur aus in der Lage, diese Entscheidung selbstbestimmt zu treffen, sozusagen als eine Art religiöses Dogma.
Und die Folge?
Erzeuger, Eltern, Freunde, Verwandte und Hinz und Kunz finden es völlig ok Schwangeren zu sagen, wie irrational, dumm, verantwortunglos oder was auch immer sie seien, weil sie noch am hadern sind, ob sie wirklich abtreiben wollen. Das ist alles nur unproblematische und neutrale Meinungsäußerung, denn - siehe Dogma - am Ende entscheidet die Frau doch eh selbstbestimmt und wird durch solche Aussagen doch zu nichts gezwungen.
Könnte ich darüber lachen, wenn ich nicht wüsste, dass du gerade das "Vergnügen" hast, genau so eine Situation zu erleben.