Ich habe hier schon einige Geschichten gelesen, bei denen ich großes Mitgefühl hatte. Erst dachte ich, es braucht nicht noch eine weitere Geschichte, aber ich muss es für mich aufschreiben und wenn es dann noch jemand lesen kann, hilft es vielleicht sogar einer anderen Person in der Entscheidungsfindung.
Ich bin 32 und wurde ungeplant schwanger von einem Mann, mit dem ich in einer undefinierten Beziehung lebte. Vorher war ich in drei anderen längeren Beziehungen, in denen ich mich irgendwann eingeengt und nicht mehr lebendig fühlte. Das ist ein anderes Thema, welches ich heute auch besser verstehe. Die jetzige Beziehung brachte mich aus eine Leblosigkeit zurück zur Lebendigkeit und es gefiel mir, mich neu zu entdecken. Ich konnte mir manchmal vorstellen, mit dem Mann mein ganzes restliches Leben zu verbringen, obwohl es mir immer wieder gemischte Signale sendete und ich Anfang des Jahres auch schon sehr verletzt wurde. Aufgeben wollte ich noch nicht schon wieder.
Als ich den positiven Schwangerschaftstest sah, hatte ich erstmal keine Gefühle, die ich zuordnen konnte, ich ließ es erstmal einwirken. In der Stadt in der Drogerie sah ich die Babyabteilung und ich bin an Frauen mit Kindern vorbeigekommen, da kamen Gedanken auf, wie "das brauche ich dann auch bald" oder "bald habe ich auch eins", mit einer gewissen Vorfreude. Ich stellte mir schon Situationen vor, Kindergeburtstage, Reisen mit dem Baby, wie das wohl sein wird, Spielplatzbesuche, die Geburt und einfach nur ich mit meinem Baby im Arm.
Am Tag danach sagte ich es dem Vater. Wir besprachen unsere ersten Gedanken und Bedenken. Ich sagte ihm zu dem Zeitpunkt, dass ich es behalten wollen würde, sofern es von selbst bleibt. Er zeigte Verständnis und dachte an Schicksal usw. Im Laufe des ersten Gesprächs wurde aber schon deutlich, dass er es nicht will, sich damit unwohl fühlte, es als zu früh beurteilte... Durch verschiedene Argumente kamen meine Gedanken ins Rollen. Ich nahm all seine Bedenken ernst und versetzte mich auch in seine Lage. Ich sagte plötzlich: "dann behalte ich es halt nicht" (ich meinte es in dem Moment nicht ernst), aber das schien ihm im ersten Gespräch auch "zu einfach" zu sein. Er versuchte mir zu vermitteln, dass er mich nicht im Stich lassen würde, er es sich aber nicht vorstellen kann. Wir gaben uns ein paar Tage Zeit.
Ich wollte intensiv nachdenken, wusste aber gar nicht genau worüber, weil ich immer noch nicht ernsthaft darüber nachdachte, die Schwangerschaft abzubrechen, davor hatte ich Angst. Trotzdem fing ich an, mich darüber zu informieren, wie sowas abläuft und las ein paar Erfahrungen durch. Mein Körper war vollkommen verändert, mir wurde komisch, jeden Tag war mir unwohl und ich war müde, überfordert, Tunnelblick. Manchmal wollte ich einfach meinen Körper wieder haben, dass es aufhört.
Als ich mit einer Freundin telefonierte, hörte sie heraus, dass ich es behalten würde und wir freuten uns kurz über diese verrückte Neuigkeit. Sie war einmal in einer ähnlichen Situation und hat damals ihr Kind nicht behalten, weil die Beziehung nicht stabil war und sie sich psychisch nicht in der Lage sah, für ein Kind zu sorgen, das verstand ich sofort.
Beim nächsten Gespräch mit dem Vater wurde ganz klar von ihm kommuniziert, dass er dagegen ist, dass er sich zur Mutter seiner Kinder mehr Gefühle wünscht und ich im besten Fall einen Vater an meiner Seite haben würde, der kein Vater sein will. Ich hatte kurz vorher gesagt, dass ich es mir vorstellen kann, Mutter zu sein und dass ich Angst habe, einen Abbruch hinterher nicht zu verkraften. Er hat mich daran erinnert, dass ich an mich und meine Freiheiten denken soll und nicht an andere, z.B. an das Kind. Das alles regte meine Gedanken weiter an. Ich war in dem Moment aber am meisten enttäuscht, wieder so deutlich zu hören, dass ich ihm praktisch nicht wertvoll genug bin, um die Mutter seiner Kinder zu sein, während ich mir mit ihm alles vorstellen konnte. Komplett verunsichert.
Am Wochenende besuchte ich meine Eltern. In dem Telefonat mit meiner Freundin hatte ich noch überlegt, ob ich es ihnen so früh schon sagen sollte... habe ich dann nicht, weil durch die Gespräche mit dem Vater des Kindes alles durcheinander geraten ist in meinen Gedanken und Gefühlen. Ich wollte seine Meinung nicht außer Acht lassen und auch verstehen. Ich war in einer Achterbahn. Eine Sekunde war ich voll dafür, die nächste neutral und dann dagegen. Ich verstand seine Argumente zu sehr, dass ich mein allererstes Gefühl vergaß. Er betrachtete alles rational, ich nicht nur, am Ende aber wahrscheinlich habe ich mich davon zu stark anstecken/ beeinflussen lassen.
Es kam dazu, dass ich in einem weiteren Gepräch, eine Woche vor seiner Reise, sagte, dass es sich wahrscheinlich falsch anfühlen würde, das Kind zu behalten. Ich habe in dem Moment vor dem letzten Wort noch ganz kurz überlegt, ob ich doch sage "nicht zu behalten", blieb dann aber dabei und er schien erleichtert zu sein. Ich war dabei, mich und meine Gefühle zu verlieren.
Das Beratungsgespräch hat mich nicht viel weitergebracht. Ich bin mit der Einstellung hingegangen, dass es das beste für uns alle sei. Wobei ich auf dem Hinweg zum Termin wieder Zweifel hatte und noch überlegt habe, ob ich irgendwie erwähnen soll, dass ich manchmal denke, ich würde es nur für den Vater in Betracht ziehen und dass ich am Anfang gar nicht darüber nachgedacht hatte und sich meine Meinung nach den Gesprächen angepasst hatte.
Als wir nach der Beratung zusammen durch die Stadt gingen und ich nochmal darüber nachdachte, als ich Kinder sah, dass wir das auch haben könnten, schien er fast genervt zu sein. Für ihn war die Entscheidung gefallen und es gab keine Notwendigkeit, es noch einmal durchzusprechen. Ich nahm es einfach hin.
Immer wieder dachte ich in beide Richtungen, stellte mir das Leben mit Kind vor und das ohne. Ich wusste einfach nicht, was für mich ist und redete mir ein, dass beides ok ist und es kein richtig oder falsch gebe. Trotz der ganzen Gedanken, fühlte ich nichts mehr wirklich, der Tunnelblick. Ab da konnte ich nur noch geradeaus gehen und darauf hinarbeiten, dass es bald vorbei ist.
Dann ist der Vater verreist. Er fragte mich vorher noch, ob es okay für mich in der schwierigen Situation okay wäre, wenn er erst im August wiederkommt (7 Wochen weg). Ich war nicht begeistert, hielt ihn aber nicht auf, weil für mich sowieso klar war, dass ich ihm nichts bedeute, spätestens bei der Frage.
Wir telefonierten zweimal. Einmal vorher und einmal nach dem Eingriff. Ich war trotzdem allein.
Die Voruntersuchung löste bei mir noch einmal einen Heulanfall am Tag danach aus. Ich wollte mir verbieten, jemals wieder über Kinder nachzudenken, wenn ich dieses jetzt wegschicke.
Es war noch etwas mehr als eine Woche bis zum Eingriff Zeit. Ich dachte, genug Zeit, um nochmal über alles nachzudenken, aber ich hatte immer wieder nur die selben Gedanken und kam am Ende immer wieder dazu, dass es das beste sei. Es gab viele Hinweise, die ich wahrgenommen, aber nicht als solche erkannt habe, die meine Entscheidung noch einmal umgedreht hätten. So viel "hätte".. habe ich in den letzten Wochen gedacht und es ändert nichts.
Meine Freundin hat mir immer wieder gesagt, "denk an dich, du bist niemandem etwas schuldig, beide Wege sind okay und wenn du dich kurz vorher noch umentscheidest, ist das auch okay..". Ich habe das alles gehört, aber wo war meine Stärke?
Heute genau vor drei Wochen war der Abbruch. Meine Freundin hat mich abgeholt, weil der Vater verreist ist. Als erstes spürte ich kurz eine Erleichterung. Am Tag danach realisierte ich, was eigentlich passiert ist und was das bedeutet. Ich spürte Verlust, den Verlust eines Lebens, das mir gefallen hätte und in dem ich aufgegangen wäre. Ich konnte nicht fassen, dass ich so etwas schreckliches getan hatte, wollte mein Baby kennenlernen. Dann war es ein paar Tage okay und ich konzentrierte mich wieder auf meine Ziele und das Leben, bis wieder Donnerstag war, der Tag an dem es passiert ist. Auf einmal merkte ich auch, dass ich gegenüber dem Vater anfing, eine Art Wut oder so zu empfinden, weil ich allein gelassen wurde und merkte, was er überhaupt für einen gewaltigen Einfluss auf mich gehabt hat. Klar war es auch für ihn nicht einfach, aber die Auswirkungen auf uns Frauen, ich weiß nicht, ob viele Männer darüber nachdenken. Er konnte sich nicht in mich hineinversetzen. Die nächste Welle. Die Trauerwellen kommen jetzt immer Donnerstags oder kurz davor. Ich schäme mich, ich bin traurig, wütend, ärgere mich darüber, dass ich mich selbst hintergangen habe trotz Hinweise.
Ich habe so viel in meinem Kopf, was ich dem Vater sagen will, wenn wir uns treffen.
Ich weiß, dass ich es am Ende entschieden habe, aber es fühlt sich an, als habe ich wie ein Roboter diesen ganzen Ablauf mitgemacht. Bei jeder Chance bin ich zurückgewichen. Es ist schrecklich.
Ich weiß, was ich alles daraus lernen sollte, warum muss es nur so schmerzhaft sein. Wie lange kommen die Wellen? Kann ich jemals damit abschließen? Ich werde mich für immer fragen, wer mein Kind war und darüber traurig sein.
Von den Beratungsgesprächen würde ich mir wünschen, dass gezieltere Fragen gestellt werden, um z.B. herauszufinden, ob die Frau wirklich ihre eigene Entscheidung entdeckt hat oder Druck von außen einen Einfluss hat. Erst fand ich es total blöd, zu so einem Gespräch gezwungen zu sein, aber gerade für Frauen, wie mich ist es wahrscheinlich nicht schlecht, wenn die Gespräche richtig geleitet werden.
Liebe Dino, was für einen riesigen Schmerz du durchlebst… mein herzlichstes Mitgefühl 😔 Sehr oft treffen Frauen mangels einer liebevollen Unterstützung eine Entscheidung, die sie im Nachhinein bereuen. Man spürt aus deinen Worten, dass du es dir ganz bestimmt nicht leicht gemacht hast. In dieser entscheidenden Zeit hättest du Zuspruch gebraucht. Jemanden, der deine tiefsten Gefühle erspürt und dich darin bestätigt hätte. Dann konntest du keinen anderen Weg als den Abbruch sehen.
Auch wenn es dich momentan sehr, sehr schmerzt, möchte ich dir Hoffnung machen, dass es einen Weg zurück ins Leben gibt und dass es wieder gut wird. Dass du hier schreibst und liest, kann ein erster Schritt zur Heilung sein. So berichten es andere Frauen. Hab’ Mut und gehe weiter.
Du kannst hier lesen, dass du mit deinem Schmerz und deiner Trauer nicht alleine bist. Auch wenn wenig darüber gesprochen wird, stehe ruhig dazu. Die Trauer braucht Zeit und Kraft.
Wie dein Weg jetzt aussehen kann, darfst du für dich erspüren. Zum Beispiel ein Brief an dein Baby könnte dir vielleicht Erleichterung verschaffen. Eine Erinnerung an das Kleine… kommen dir eigenen Ideen dazu, so, wie es zu dir passt?! So darfst du dein Baby in deinem Herzen behalten ❤️🩹
Die Seite Deborah e.V. wird hier öfter empfohlen. Gesundheit nach Abbruch heißt es auf der Startseite. Das darf dir Hoffnung machen. Von Herzen wünsche ich dir viel Kraft für einen guten und heilsamen Weg. Melde dich gerne nochmal 💖
Mit einer lieben Umarmung von Sanne 🌸