Hallo,
Ich hoffe, mein Beitrag ist richtg untergebracht, auch wenn er nicht von der Dringlichkeit anderer ist.
Seit einiger Zeit beschäftigt mich das Thema Lebensrecht und Abtreibungspraxis in Deutschland aus verschiedenen Gründen sehr und ich würde mich sehr gerne persönlich einsetzen - für ein Umdenken, für Schwangere die zweifeln, für eine öffentliche Diskussion.
Welche Möglichkeiten gibt es sich sinnvoll persönlich einzubringen?
Welche Organisationen gibt es?
In konkreten Beratungssituationen stößt ein Laie sicherlich schnell an seine Grenzen - da sind Profis gefragt. Aber es ist ja auch wichtig auf dieses Thema aufmerksam zu machen, gesellschaftliche Lösungswege zu finden etc.
Bei meiner bisherigen Recherche musste ich häufig feststellen, dass Organisationen oder Plattformen, welche sich auf diesem Gebiet engagieren häufig recht "fundamentale Ansichten" vertreten und in anderen Fragen Positionen vertreten, die ich ganz und gar nicht teilen kann. Auch im privaten Umfeld habe ich schon öfters die Erfahrung gemacht, dass man in eine bestimmte Ecke gedrängt wird, wenn man sich öffentlich gegen Abtreibung äußert (oder überhaupt zu dem Thema - da spricht ja niemand gerne drüber).
Gibt es auch nicht-christliche Gruppierungen, die sich dem Ziel verschrieben haben Schwangeren in Konfliktsituationen zu helfen?
Ich hoffe, niemand fühlt sich damit jetzt "auf den Schlips getreten".
Gruß
Susiso
Schwierig, schwierig...
Ja, so sieht es auch bei mir aus: Es gibt eine Reihe von Themen, darunter Schwangerschaft und Abtreibung, bei denen der Konsens gesellschaftliche Pflicht ist, und wenn man anderer Meinung ist, wird man als Christ/Katholik bezeichnet (was als Beleidigung gelten soll), ja sogar als Nazi (wer hat nochmal die Abtreibung durch Absaugen erfunden?). Ich meinerseits würde sowieso durch weitere sonderbare Ansichten auffallen; andererseits habe ich kein Problem damit, mit Christen zusammenzuarbeiten (bin es auch).
Die Projekte, die Du nennst: Dich "persönlich einsetzen - für ein Umdenken, für Schwangere die zweifeln, für eine öffentliche Diskussion", "auf dieses Thema aufmerksam [...] machen, gesellschaftliche Lösungswege […] finden etc." kannst Du wohl auch nicht alleine zu Stande bringen. Ich bin aber mit dem: "In konkreten Beratungssituationen stößt ein Laie sicherlich schnell an seine Grenzen - da sind Profis gefragt." nicht ganz einverstanden, auch wenn ich glaube, dass man den Beruf durch eine ganze Menge persönlicher Stärken und Erfahrungen ersetzen muss, falls man kein Psycho- oder Soziologe ist, und die besitze ich wohl (noch) nicht. In diesem Forum schreiben aber ganz "normale" Personen. Von den meisten kenne ich die Ansichten nicht, darum schreiben sie auch nicht hier, sondern sitzen am Computer und versuchen, zu beraten. Es gibt auch weitere Foren, auf denen Schwangere, die Austausch brauchen, schreiben, und bei denen sie bei weitem schlechter behandelt werden als hier. Ich habe mal versucht, welche vor Attacken zu beschützen. Ich glaube, so etwas kann man gerne brauchen, wenn man in einer solchen Situation ist.
Ich stehe mit einer kleinen französischen Vereinigung in Verbindung, die seit 1995 besteht und bis heute um die 900 Babys gerettet hat, was keine schlechte Zahl ist angesichts der Tatsache, dass sie aus vier Personen besteht. Die haben ganz einfach mit Flugblättern vor Abtreibungskliniken und Diskussionen auf der Straße begonnen und so versucht, sich bei den richtigen Personen irgendwie bekannt zu machen. Anfangs haben sie ca. zwei Personen im Jahr geholfen, aber gelernt, an den richtigen Orten die Augen aufzumachen und die Worte und Gesten gefunden, die helfen. Und dann halt nach und nach Studios gemietet, Familien angeworben, die Schwangere und besonders Minderjährige, die innerhalb ihrer Familie (oder bei ihrem "Freund") in Gefahr wären, weit weg von Paris (auch im Ausland) unterbringen, eine geheime Telefonnummer durch die russischen Bordells verbreitet und noch schwierigere Noteinsätze durchgeführt.
Die sind wohl das, was man "erzkatholisch" nennen kann, erwarten aber nichts von Helfern als christliche Nächstenliebe, christlich, weil sie der Meinung sind, man könne die Gelegenheiten, zu helfen, die Kraft, zu handeln, die Einsicht, richtig zu handeln, den Erfolg, das Beharren und alles nur von Gott bekommen (was auch ich meine, tut mir leid). Sie sind aber auch so bescheiden (euphemistisch gesprochen), dass sie zugeben, nicht zu wissen, wie Gott mit ihnen umgehen will, daher glaube ich nicht, dass Du mit ihren Ansichten Probleme bekommen kannst, es war auch nie der Fall. Auch versuchen sie nicht, die Vereinigung an Wichtigkeit zunehmen zu lassen, sondern eher, Anregungen zur Gründung weiterer solcher Vereinigungen zu geben. Die Gruppe besteht aus einer Schnüffelmaus, die notwendig eine erfahrene Frau ist, einem Buchhalter und einem Chef, plus einem Rentner mit großem Wagen für die Umzüge. Sie veröffentlichen in unregelmäßigen Abständen ein "Bordtagebuch" auf der Seite http://www.radio-silence.tv/index.php?menug=6 und können über die Adresse [email protected] kontaktiert werden (ich habe mich mit denen auf Deutsch ausgetauscht, das geht).
Was auch immer Du tun willst: Mir scheint, dass es vor allem eine Frage des Milieus ist, ob und wie Du mit Deiner Meinung be- und verurteilt wirst. Dabei spielt es zunächst eine Rolle, ob Du in einer Gesellschaft bist, bei der der Staat die Abtreibung erlaubt oder nicht strafbar gemacht hat, weil sich dann entweder die einen oder die anderen von der Autorität gestärkt fühlen, aber auch deshalb, weil hinter der Erlaubnis eine Gruppe Aktivisten steckt, die sich entwickeln und Einfluss gewinnen konnte. Ich weiß nicht, was Du sonst in Deinem Leben tust und welche Deine Möglichkeiten sind, aber ich denke, dass kulturell nicht christliche Länder, in denen die Abtreibung verboten ist, ein gutes Reiseziel wären. Ich kenne zum Beispiel eine Frau, die so Mongolisch gelernt hat und in Frankreich mit mongolischen Kindern sozial arbeitet. Staatsangehörige der ehemaligen UdSSR könnten eventuell auch nicht zu sehr christliche Bekanntschaften sein, mit denen Du etwas aufbauen könntest, sei es bei Dir oder bei ihnen. Weißt Du zum Beispiel von diesen Vereinigungen etwas, die für weißrussische Kinder schwere Operationen in Deutschland organisieren? Wenn Du auf der Ebene agieren willst, kannst Du vielleicht so tun, dass sich die eine oder andere auch um schwierige Schwangerschaften kümmert. Hier habe ich auch vielleicht nähere Infos, muss mal telefonieren.
Was die eigentliche öffentliche Debatte hierzulande angeht: Wenn Du da was anfangen willst, glaube ich, dass es schwer sein wird, nicht mit Christen zusammen zu arbeiten. Historisch sind Initiativen in dem Bereich, der Dich interessiert, auf sie zurückzuführen, und auch jetzt sorgen sie für viele Initiativen; sind sie es nicht, so machen sie zumindest die Zahl der Mitarbeiter und Helfer aus. Dennoch denke ich, dass es auch jüdische Gruppen gibt, die in Deiner Richtung gehen, auch wenn ich keine kenne. Ich glaube nicht, dass es welche gibt, die keiner Religion und keiner Ideologie anhangen: Das raffinierte, aristokratische Europa wehrt sich zwar dagegen, wie es nur kann, aber der demokratische Mensch stellt überall Verbindungen her, sodass eine Anschauung mit Lücken schlecht vertreten werden kann: Du darfst keine Meinung über Schwangerschaft und Abtreibung ausdrücken, ohne auch zu Euthanasie, Selbstmord, menschlicher Schuld, Strafrecht, Autorität, Gewaltenteilung, Pädagogik, Sexualmoral, Steuersystem, Sozialmaßnahmen, politischer Richtung, kurz zu Gott und der Welt Stellung zu nehmen. Daher treten vor allem die religiösen Gruppen in den Vordergrund und die "Antis", also Solche, die zum Beispiel das Recht jeder Frau auf Abtreibung auf dem Kampf gegen das patriarchale Gesellschaftsmodell begründen und nebenbei auch jeden, der von Zwang zur Abtreibung spricht, gleich als Gegner jeden Fortschritts verurteilen (wobei manche vielleicht auch gemäßigter sind und haben meine Aufmerksamkeit durch keine Beleidigung auf sich gelenkt … ich habe noch nicht gelernt, alles zu sehen). Menschen, die zweifeln oder nicht in jedem Bereich sicher sind, werden nicht erhört.
Zurück zu meiner kleinen französischen Vereinigung und zu dem, was ich bisher nach ihrem Beispiel geschafft habe (recht wenig), in Sachen Milieu: Es gibt verschiedene Arten, durch die Straßen zu gehen, und ich muss irgendwie die richtige herausfinden. Primär werde ich auf Leute aufmerksam, die mir ähnlich sind; ich glaube, es ist immer und für alle so: Es ist kein Zufall, dass die Gründerin der Vereinigung ein paar Jahrzehnte vor der Gründung abgetrieben hat. Ich bin fast sicher, dass man durch Details auffällt und umgekehrt Personen bemerkt. Ich bin kleinwüchsig und bemerke eher Personen, die sitzen. Aber auch meine Art, mich selbst darzustellen, bedingt meiner Meinung nach meine Art, durch die Straßen zu gehen. Mich stört bei anderen Personen zu viel Perfüm oder Schminke, oder eine glitzernde oder Bewegungen einschränkende Kleidung, denn ich kann dann nicht so an ihrem Körper ihre Gefühle lesen, wie ich es bei Anderen gewohnt bin. Umgekehrt finde ich mein Glück, indem ich solche Obdachlose beobachte, die wegen ihrer persönlichen Geschichte da sitzen (und deshalb auch nichts zu fingieren brauchen). Unter ihnen sind auch verschiedene Gruppen, die verschieden aussehen: Mir scheint, dass der Unterschied zwischen den Obdachlosen mit und ohne Hund (wenn es einen gibt, ist er meist hervorragend dressiert und sauberer als sein Herrchen, hast Du es bemerkt?) wichtig ist, aber ich weiß nicht, wieso. Unabhängig vom Wohnort bemerke ich am ehesten die blauäugigen Männer, die zwischen 50 und 60 Jahren alt sind (was auch auf meinen Vater zutrifft: vielleicht deshalb?). Darüber hinaus bin ich gerne bei Polen (ich liebe das Polnische!), Tschechen und Slowaken, und sie haben mich gern. Nun aber bezeichnet der Sekretär der Vereinigung den klassischen Fall der Schwangeren in Schwierigkeit als eine Frau mit verweintem Gesicht, die auf der Straße oder im Park auf einer Bank sitzt, also ähnlich wie die Personen, mit denen ich sonst auf der Straße Kontakte knüpfe, und dennoch ist mir nichts Derartiges aufgefallen. Es stimmt aber, dass man in einem solchen Fall eine männliche Gesellschaft meiden möchte (unvereinbar mit meiner Lieblingszielgruppe). Blind bin ich also noch... Eines steht natürlich fest: Damit ein Kontakt geknüpft wird, müssen mindestens zwei Personen daran interessiert sein. Bin ich interessant für jemanden, der mich brauchen kann?
Ich hoffe, Du findest bald heraus, was Dich anspricht
MfG
Eichkätzele